Wenn der Beruf zur Berufung wird… Feierliche Freisprechung von 62 neuen Gesellen für das regionale Handwerk
Künzell/Fulda. Es war ein bewegender Abend im Gemeindezentrum Künzell: 62 frisch gebackene Gesellen standen im Mittelpunkt der großen Freisprechungsfeier der Innung des Bauhandwerks Fulda, der Dachdecker-Innung Fulda und der Zimmerer-Innung Fulda – engagierte junge Fachkräfte, die als Zimmerer, Dachdecker, Maurer, Beton- und Stahlbetonbauer, Hochbaufacharbeiter oder Fliesenleger künftig das regionale Handwerk stärken werden.
Moderatorin des Abends, Sabine Räth, sprach von anstrengenden Monaten, die die Absolventen nun hinter sich lassen können. Jetzt dürfe gefeiert werden. Räth begrüßte neben den Junggesellen und deren Angehörigen auch Vertreter aus Betrieben, Schulen sowie der regionalen Politik, unter anderem Landrat Bernd Woide, Künzells Bürgermeister Timo Zentgraf und den Fuldaer Stadtrat Stefan Grauel. Sie dankte der Kreishandwerkerschaft Fulda mit Geschäftsführerin Gabriele Leipold und deren Team für die Organisation des Abends und übergab das Wort an die Obermeister beziehungsweise Stellvertreter der teilnehmenden Innungen.
28 Prozent aller Azubis bundesweit absolvieren Ausbildung im Handwerk
Jürgen Bug, Obermeister der Dachdecker-Innung Fulda, ging auf die berufliche Zukunft der freigesprochenen Gesellen ein und nannte beeindruckende Zahlen: „Mit einer Million Betrieben in Deutschland und 5,6 Millionen Mitarbeitenden spielt das Handwerk eine bedeutende Rolle für unsere Gesellschaft.“ Ebenfalls interessant: 28 Prozent aller Azubis absolvieren laut Bug eine Ausbildung im Handwerk. Damit sei das Handwerk der größte Ausbilder im Land.
Dr. Christoph Schetter, stellvertretender Obermeister der Innung des Bauhandwerks Fulda, unterstrich die „ausgesprochen gute Ausbildung in der Region“, die drei verschiedene Säulen umfasse. Natürlich zunächst Ausbildung in den Betrieben vor Ort, aber auch die überbetriebliche Ausbildung im Bildungszentrum Bau Osthessen (BBO). „Im BBO werden die Grundlagen gelegt für die handwerklichen Bereiche, die der Betrieb nicht abdecken kann“ Den Dreiklang vervollständigten die Berufsschulen, in diesem Fall die Ferdinand-Braun-Schule.
Dietmar Dimmerling, Obermeister der Zimmerer-Innung Fulda, sprach den emotionalen Moment der Freisprechung und die Absolventen persönlich an. „Es ist ein wichtiger Meilenstein für eure eigene Reise.“ Der Gesellenbrief sei der Beleg für den Fleiß und das Durchhaltevermögen jedes Einzelnen – ein Fundament für den Beruf. Natürlich dürfe man nicht stehenbleiben, müsse immer weitergehen. „Seid stolz auf euer Handwerk, aber bleibt auch bescheiden und bodenständig.“
„Wir brauchen ein leistungsfähiges Handwerk in der Region“
Auch Künzells Bürgermeister Timo Zentgraf, „Hausherr“ des Abends, gratulierte den erfolgreichen Absolventen. Er sprach vom Beruf, der zur Berufung werde, wenn man seine Arbeit mit Leidenschaft mache. „Wenn ihr jeden Tag Spaß habt, an dem, was ihr tut, dann habt ihr den richtigen Beruf gefunden, eure Berufung.“
Landrat Bernd Woide sprach von einem besonderen Ereignis, das gefeiert werden müsse. „Wir brauchen jeden einzelnen von euch, denn wir brauchen ein leistungsfähiges Handwerk in der Region. Daher: Bleibt unserem Landkreis treu.“ Außerdem richtete er seinen Dank an Betriebe und Berufsschulen, die die Ausbildung der Nachwuchskräfte begleitet hatten.
Ulrike Vogler, Schulleiterin der Ferdinand-Braun-Schule, griff in ihrer Ansprache ein Bild auf, das die US-amerikanische Motivationstrainerin Dottie Walters geprägt hatte: „Erfolg ist eine Treppe und keine Tür.“ Treppen zu steigen, die manchmal steil sein können oder Tritte haben, die weit auseinander liegen, sei bisweilen mit Anstrengung verbunden. Mit dem Gesellenbrief in der Tasche sei auf dem Weg zum Erfolg ein weiteres Stück geschafft, doch der Weg gehe natürlich weiter.
Begeisterung fürs Handwerk oft über Generationen hinweg
In einer anschließenden Talkrunde tauschten sich drei der Junggesellen – Zimmerer Julius Nüchter von Rensch Haus, Dachdecker Finn Gottschalk von Köhler Dachdecker und Spengler sowie Maurer Johann Weß von Günther Bau – mit Ausbildern, Lehrkräften und den Vertretern der Innungen aus. Moderatorin Sabine Räth fragte die neuen Fachkräfte, wie man denn zum Handwerk gekommen sei. Julius Nüchter berichtete, dass er über den Beruf des Vaters Interesse bekommen und dann ein Praktikum in einer Zimmerei absolviert hatte. Dann sei recht schnell klar gewesen, dass er diesen Weg gehen möchte. Obermeister Dimmerling bestätigte, dass die Begeisterung fürs Handwerk oft über Generationen „weitergegeben“ werde. Finn Gottschalk erzählte vom Dachdecker im Dorf und einem „Arbeitsplatz mit wunderschöner Aussicht“. Das Praktikum in dem Betrieb habe ihm viel Spaß gemacht. Die enge Verbindung innerhalb des kleinen Teams bewertete er ebenfalls sehr positiv. Auch Julius Nüchter fand Verlässlichkeit „und dass man sich mit den Kollegen gut versteht“ wichtig. „Wenn man auf Montage ist, verbringt man ja auch die ganze Freizeit miteinander.“
Johann Weß blickte auf seinen Start ins Handwerk zurück: „Ich habe mal ein Praktikum im Büro gemacht – das hat mir gar nicht gefallen.“ Zu Hause sei schon immer viel im Garten gemauert worden, vom Grill bis zum Hochbeet, das habe ihn begeistert und so habe er ein Praktikum im Maurerhandwerk absolviert. Als Abiturient konnte er seine Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen. „Auch wenn man Abitur hat, muss man ja nicht zwangsläufig studieren.“ Jugendlichen in der Berufsorientierung gab er den Rat: „Macht das, was euch wirklich Spaß bereitet.“
Obermeister Bug betonte die Wichtigkeit einer abwechslungsreichen Ausbildung, die moderne Techniken integriert und auf die Stärken jedes Einzelnen eingeht. Es gehe auch darum, die Persönlichkeit der angehenden Fachkräfte reifen zu lassen.
Nachhaltigkeit vermitteln – etwa beim Bau eines energieeffizienten Gebäudes
Dr. Christoph Schetter brachte die Themen Digitalisierung und KI aufs Tablett. Beim Handwerk seien weniger Arbeitsplätze in Gefahr als in anderen Branchen. Direkt an die Absolventen gerichtet: „Ihr müsst euch definitiv um eure Zukunft keine Sorgen machen.“ Stephan Kaufmann, Lehrer im Maurer-Bereich an der Ferdinand-Braun-Schule, fand es wichtig, dass digitale Werkzeuge und KI in der Arbeit integriert werden. Man müsse aber auch dahinter schauen können, wenn es um gute handwerkliche Arbeit gehe. Den Azubis das Thema Nachhaltigkeit zu vermitteln, sei ihm ebenfalls ein großes Anliegen.
BBO-Ausbilder Marius Ludwig wies die jungen Nachwuchskräfte darauf hin, dass in Deutschland in den nächsten zehn Jahren über 100.000 Betriebe Nachfolger suchen. Das Handwerk habe nicht nur goldenen Boden, sondern im übertragenen Sinn auch goldene Dächer und sei genau der richtige Weg, um beste Zukunftsperspektiven zu nutzen.
Die offizielle Freisprechung übernahm Kreishandwerksmeister Thorsten Krämer, der diese Veranstaltungen der Innungen als „schönste Termine im Jahr“ bezeichnete. Das Handwerk sei so alt wie die Menschheit selbst. „Das erste Schwert, das erste Rad – das jemand mit seinen Händen geschaffen hat. Handwerkliche Berufe mit Zünften und Gilden gibt es dagegen erst seit rund 1000 Jahren.“ Einst zu Zeiten kinderreicher Familien, seien die Nachkommen mit viel Glück in einer Meister-Familie aufgenommen worden und hätten dort gegen Kost und Logis ein Handwerk erlernt. „Wenn der Lehrling dann in den Augen des Meisters in der Lage gewesen ist, auf eigenen Beinen zu stehen, ist er vom Zwang der Lehre los, frei und ledig gesprochen worden und konnte fortan sein eigenes Geld verdienen. Daher stammt noch der heutige Ausdruck der Freisprechung.“ Handwerk sei etwas, „ohne das wir keinen Tag bestehen können“. Ob man nun an den Bäcker denke, an Straßen, Brücken, Gebäude … „Wir sind jeden Tag in irgendeinem Haus, unter irgendeinem Dach.“ Ohne Handwerk sei das nicht möglich.
„Ich spreche euch los, ledig und frei vom Zwang der Lehre“
Ihm sei es eine Ehre, die erfolgreichen Prüflinge nach alter Tradition freizusprechen: „Ich spreche euch los, ledig und frei vom Zwang der Lehre und heiße euch aufs Herzlichste willkommen im Kreis der Handwerksfamilie der Region. Gott schütze das ehrbare Handwerk.“ BBO-Ausbildungsleiter Bernd Klüber, dessen Engagement mit großem Applaus belohnt wurde, die drei Vertreter der Innungen sowie Gabriele Leipold als Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft (KH) Fulda überreichten die Gesellenbriefe. Unter großem Applaus kamen dazu die Gesellen nacheinander auf die Bühne und nahmen ihre Urkunden verbunden mit dem jeweiligen Glückwunsch der Obermeister und der Geschäftsführerin der KH Fulda entgegen.
Anschließend wurden die jeweiligen Prüfungsbesten erneut auf die Bühne gerufen und erhielten ihre Auszeichnung. Prüfungsbester Zimmerer war Domenik Thomas (Ralf Sickert Holzbau), prüfungsbester Dachdecker Finn Gottschalk (Köhler Dachdecker und Spengler GmbH). Bei den Beton- und Stahlbetonbauern ganz vorn lag Roman Luther (Giebel Bau AG). Prüfungsbester Maurer war Jonas Mihm (Thomas Ziegler – Bauunternehmen) – er wurde außerdem am Tag der
Freisprechungsfeier zum Vize-Hessenmeister. Die vier Ausgezeichneten erhielten neben einer Urkunde als Präsent einen Hammer mit eingraviertem Namen.
Schließlich ging’s zum Gruppenfoto. Und Gabriele Leipold eröffnete das große Buffet und damit den geselligen Teil des Abends, der von DJ Kjell Müller musikalisch gestaltet wurde.






